Allgäuer Zeitung Kaufbeuren, 05. Februar 2005, Kultur am Ort
Der Feuerwerker
Dele Müller lässt seine Kunst in Flammen entstehen
Seit mehreren Jahren sieht Dele Müller dem Sonntag nach Aschermittwoch jeweils mit Spannung entgegen. An diesem Tag nämlich flammt in Holzstätt, der mit Weilern und Einöden gesprenkelten Hochebene zwischen Eggenthai, Ronsberg und Ebersbach, ein riesiges Funkenfeuer in den Himmel. Und unter dem riesigen Scheiterhaufen, dort, wo die Temperatur 1200 Grad und mehr erreicht, liegt die Kunst von Dele Müller und verbrennt.
So wie 1996, als er sein erstes Funkenfeuer, kurz Funken genannt, bestückte. An der Stelle, wo he mach die Scheite aufgeschichtet wurden, legte er eine viergeteilte Keramikscheibe sowie zwölf mit Erde gefüllte tönerne Schachteln aus. Als die Flammen erloschen waren und Dele Müller in der Aschenglut stocherte, hatte das Feuer nicht nur die Keramik gebrannt; unterschiedliche, durch Wind und Schmelzwasser beeinflusste Temperaturen hatten auch vielgestaltige Zeichen auf den ausgelegten Objekten hinterlassen. Oder 1998: Da bestückte Müller wiederum Tongefäße mit Erde, welche aus der Umgebung von vier Quellen stammte, die sich samtlich im näheren Umkreis des Funkenfeuers befinden. Unter der Gluthitze barsten die Gefäße teilweise, die darin enthaltene Erde und weitere Fundstücke verkohlten, doch die Reste fanden Eingang in Müllers Arbeit "Vier Quellen". "Durch das Feuer', sagt Müller, "kommt in meine Arbeiten ein Einfluss hinein, dem ich mich unterwerfen muss". Die Gewalt des Elements lässt sich nicht kontrollieren, das Überraschende gehört wesentlich zum Konzept des 45-Jährigen, der seinen Kunstbegriff dann auch bezeichnenderweise mit den Worten "Freiheit und Unabhängigkeit" umreißt. Müller stellt sich darauf ein, dass im Funken noch nie etwas so gebrannt ist, "wie ich es mir vorgestellt habe". Was übrig bleibt vom Feuer, nimmt er zum Ausgangspunkt für ein endgültiges Arrangement der Objekte, zu welchem in jüngerer Zeit auch die Integration von Fotografien, etwa von Fundorten oder vom Funkenfeuer sowie von Dokumenten gehört.
Ordnung und Willkür
Kunst im Feuer - da liegt der Gedanke an Bilderstürmerei natürlich nahe. Akademiegebäude zum Einsturz bringen will der Autodidakt Müller zwar nicht. Doch die Hinwendung zum..Archaischen, zu dem nicht von Regeln und Asthetiken überformten Ursprünglichen verweist auf vergleichbare Grundintentionen. Die zerstörerische Kraft des Feuers ist die eine Seite; auf der anderen liegt für Müller in der hinterbliebenen Asche die Ruhe, die , zum Neuanfang befähigt. Naturhaftigkeit ist ein Merkmal, welches Müller allen seinen Arbeiten aus dem Feuer einzuschreiben versucht. Eine natürliche Ordnung, die sich etWa in den geometrischen Strukturen niederschlägt, in denen Müller seine Objekte unters Feuer legt und die der Künstler nicht mit Esoterik verwechselt sehen möchte. Die zwei Seiten der Natur, Ordnung und Willkür, im Widerstreit - nach dem Brand zeigt sich nicht selten, dass letzteres die Oberhand behalten hat.
Die "Feuertaufe" des Kunsthauses
Das Feuer fasziniert Dele Müller, der sich den Lebensunterhalt mit Ofenbau verdient, seit langem. Schon vor einem Vierteljahrhundert, als er mit dem Keramiker Fritz Renner unter einem Dach lebte und ihm bei der Arbeit zusah, machte das Brennen künstlerisch geformter Objekte auf ihn Eindruck. Keramik stand dann auch am Beginn von Müllers eigener künstlerischer Entwicklung, wobei sich der Aspekt des Feuers immer mehr in den Vordergrund schob, schließlich verselbständigte. Unvergessen ist Müllers "Feuertaufe" des Kaufbeurer Kunsthauses, bei der er im Herbst 1995 den damaligen Rohbau keineswegs nur symbolisch in Flammen setzte.
"Wenn man mit diesem Material arbeitet", sagt Müller, "dann fühlt man sich von sb einem riesigen Feuer wie dem Funken natürlich angezogen". Müller entdeckte schließlich den brennenden Scheiterhaufen, den die Holzstätter Jugend alljährlich zusammenträgt, und vertiefte sich in die historischen Wurzeln dieses alemannischen Brauchtums, fand mit der Zeit auch zu den anderen Großfeuern, die wie Mai- oder Sonnwendfeuer zu festgelegten Zeiten aufflammen, und ließ auch in ihnen seine Objekte verglühen. In der Galerie Webams, deren unmittelbarer Nachbar er ist, hat Müller nun eine Ausstellung eingerichtet, in der er vier Arbeiten zeigt, die überwiegend im Holzstätter Funken entstanden sind.
Kommenden Sonntag, wenn an der Straße zwischen Webams und Willofs das aufgeschichtete Holz erneut in Flammen aufgeht, wird auch Dele Müller wieder zu denen gehören, die ihren Blick auf das Schauspiel richten. Und siCh schon einmal fragen, wie wohl in diesem Jahr sein Objekt - ein in die Erde eingelassener Eschenstamm - aus dem Feuer hervorgehen wird.
S. Dosch